TERRA-Online / Gymnasium


Auswirkungen des Eurotunnels


Auswirkungen auf Südostengland und Nordostfrankreich


Auswirkungen auf Südostengland

Obwohl noch 1992 mehr als zwei Drittel der Briten dem Kanaltunnel positiv gegenüberstanden, gab und gibt es in England zahlreiche Kritiker, die in dem Jahrhundertbauwerk eine Gefahr für Südostengland sehen. Schon vor der Eröffnung im Jahre 1994 befürchteten britische Projektgegner, dass der Tunnelbetrieb einen sprunghaften Anstieg des Auto-, Schwerlast- und Schienenverkehrs auf den ohnehin bereits überlasteten Straßen- und Eisenbahnstrecken in Kent und Umgebung zur Folge haben wird. Nach Schätzungen rechnet man in Hinblick auf das Gesamtvolumen der Kanalüberquerer mit einer Vervierfachung des Verkehrsaufkommens in Kent.
Darüber hinaus macht sich mittlerweile unter britischen Wirtschaftsfachleuten die Einschätzung breit, dass die entscheidende Startphase für Investitionen und infrastrukturelle Maßnahmen in Kent verschlafen worden sei und sich Kent gegenüber Nordfrankreich in einem nicht mehr aufzuholenden Rückstand befinde. Diese Entwicklung ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass sich in Kent Umweltschützer und lokale Planungsinstanzen sowie Befürworter der Erhaltung der Parklandschaft erfolgreich gegen die Ansiedlung von Gewerbe- und Industriestandorten wehrten. Beispielsweise scheiterte das 1989 bekanntgegebene Vorhaben, südöstlich der verkehrsgünstig gelegenen Stadt Ashford auf ertragsarmem Ackerland einen 800 ha großen Industrie- und Gewerbestandort entstehen zu lassen. Erst als britische Investoren dazu übergingen, sich notgedrungen andere Standorte zu suchen, wurde der Bevölkerung von Südostengland bewusst, dass sie zwar die Belastungen durch den Eurotunnel ertragen muss, aber dabei ist, sich sämtliche Wege zu versperren, von dem "Jahrhundertbauwerk" zu profitieren. Als Reaktion wurden in Ashford schließlich zahlreiche Gewerbeflächen ausgewiesen. 1991 wurde damit begonnen, einen Industriepark (den sog. Orbital Park) südöstlich von Ashford zu planen.


Auswirkungen auf Nordostfrankreich

Die nordfranzösische Region erwartet sich mit dem Eurotunnel-Betrieb einen deutlichen und dauerhaften Aufschwung für seine krisengeschüttelte Wirtschaft. Seit mehreren Jahren kämpfen verschiedene Branchen wie die Stahl- und Werftindustrie, der Kohlebergbau und die Textilbranche ums Überleben. Steigende Arbeitslosenzahlen und die sich ausdehnende Armut in den unteren Bevölkerungsschichten führen dazu, dass vor allem immer mehr junge Leute in größere Städte wie Le Havre, Rouen oder Paris abwandern. Die von der französischen Regierung und der EU bereitgestellten Fördermittel werden in diesem Gebiet vor allem für die gezielte Ansiedlung von modernen Industrieparks und Dienstleistungsunternehmen verwendet.
Da eine günstige Verkehrsanbindung an das französische Hochgeschwindigkeitsnetz als eine Voraussetzung dafür gilt, dass Industrieunternehmen in der Region Zweigstellen errichten, entbrannten auf lokaler Ebene unter den Gemeinden vor der Festlegung der Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge von Calais nach Lille bzw. Brüssel heftige Diskussionen darüber, welche Orte in der Nähe des Schienenstrangs liegen werden.
Langfristig hofft man in Pas-de-Calais auf die Ansiedlung von Industriebetrieben, welche der regionalen krisengeschüttelten Wirtschaft neue Impulse liefern. Gefragt sind zukunftsträchtige Branchen, wie z. B. die Elektroindustrie, Computer- und Chipshersteller sowie Dienstleistungsbetriebe.
Auf dem Gelände des französischen Terminals ist die Umsetzung dieses Vorhabens bereits gelungen. Nach Abschluss der Bauarbeiten wurde die Gesamtfläche von 630 ha in eine Förderzone für Industrie- und Gewerbebetriebe (ZAC: Zone d'Amenagement Concertée) umgewandelt. Dieser seitens der französischen Regierung bewilligte Status berechtigt zur wirtschaftlichen Erschließung und dient der Unterstützung benachteiligter Regionen. Auf 76,5 ha dieser ausgewiesenen Fläche entstand die sog. Cité de l'Europe, ein riesiges Einkaufs-, Freizeit- und Geschäftszentrum, das nicht nur einheimische Bürger anlocken soll, sondern auch Touristen und Geschäftsleute aller europäischen Anrainerstaaten. Bereits im März des Jahres 1995 wurden ein Einkaufszentrum (90.000 m²) sowie ein Kino-Grosskomplex (2.000 Sitzplätze und 12 Leinwände) eingeweiht.
Auch die Hafenstädte erwarten sich vom wirtschaftlichen Aufschwung der Region und dem Ausbau der Verkehrswege positive Auswirkungen. Dünkirchen will im Zuge des steigenden Frachtverkehrsvolumens den Hafenumschlag um das Vierfache erhöhen und sich auf die Verladung von Containern spezialisieren. Calais hat bereits seine Hafenanlagen ausgebaut, um größere Frachtschiffe und die neuen "Superfähren" der P&O Gesellschaft und STENA Line in kürzester Zeit abfertigen zu können.
Die Gesamtentwicklung zeigt, dass der Eurotunnel einen durchwegs positiven Effekt auf die Region Pas-de-Calais ausübt. Im Zuge der Bauphase des "Jahrhundertprojekts" wurden nicht nur wichtige verkehrstechnische Lücken im regionalen Gesamtnetz geschlossen, sondern vor allem auch Impulse für langfristige Investitionen und Erschließungen im Einzugsbereich des Tunnels gegeben.


Quelle: Geographie Infothek
Autor: Michael Streifinger, Sebastian Bork
Verlag: Klett
Ort: Leipzig
Quellendatum: 2002
Seite: www.klett.de
Bearbeitungsdatum: 08.01.2006
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